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Handlungsempfehlungen für Biodiversität in Standards und Qualitätssiegeln der Lebensmittel-Branche

By 15. Oktober 2014Dezember 10th, 2016Allgemein

image_manager__rex_mediabutton_preview_oecoach_bodenseestiftung-lebensmittelind_320x200pxDer Verlust der biologischen Vielfalt zählt neben dem Klimawandel zu den größten und zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Lebensmittel-Industrie und -handel haben wesentliche Wirkungen auf die biologische Fülle. Doch derzeit genießen Biodiversität und Ökosystemleistungen und ihr Schutz noch nicht den Stellenwert in Wirtschaft und Gesellschaft, den sie aufgrund ihrer Bedeutung haben sollten. Bodensee-Stiftung und Global Nature Fund veröffentlichten ihre Handlungsempfehlungen, um Unternehmen wie auch die Politik für den Erhalt der biologischen Vielfalt zu gewinnen.

Der Erhalt und die schonende Nutzung der biologischen Vielfalt sind kein reines Umweltthema. Sie sind auch Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Produktionsprozesse, Dienstleistungen und Lebensqualität. Der Verlust der biologischen Vielfalt bedroht die Wirtschaftsgrundlagen – insbesondere die der Lebensmittelbranche, die ihren Geschäftsgegenwert aus natürlichen Rohstoffen bezieht.

Standards und Siegel haben Vorbildfunktion und Lenkwirkung. Im Rahmen ihrer Zertifizierungen stellen sie den Schutz von Umwelt und Biodiversität über die gesetzlichen Vorgaben hinaus sicher. Zertifizierte Unternehmen, die sich für den Schutz der biologischen Vielfalt engagieren, sind für zukünftige gesetzliche Vorgaben besser gewappnet.

Die Ansprüche der Verbraucher an Lebensmittel wachsen. Immerhin mehr als jeder vierte Konsument (26 %) trifft seine Kaufentscheidung auch nach ethischen Kriterien wie Nachhaltigkeit, fairem Handel oder artgerechter Tierhaltung. (Quelle: Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie 2013) Chefs der Lebensmittel-Industrie profitieren also von Wettbewerbsvorteilen im Wettbewerb um die stetig wachsende Konsumentengruppe, die ihr Kaufverhalten auch an ökologisch-sozialen Kriterien ausrichtet.

Interdisziplinäre Projektarbeit

In einer ersten Phase der von der Bodensee-Stiftung und dem Global Nature Fund ins Leben gerufenen Initiative wurden die Kriterien von 19 Siegeln und Standards auf ihre Relevanz für den Schutz der biologischen Vielfalt analysiert. Neben mir unterstützen weitere Experten mit Rat und Tat die Zusammenstellung der Handlungsempfehlungen für alle Disziplinen der Lebensmittel-Industrie.

Neben der Identifizierung der biodiversitätsrelevanten Kriterien untersuchten die Projektpartner, inwiefern die vorhandenen Kriterien wirklich an den kritischen Punkten ansetzen und wo dringender Handlungsbedarf bei der Weiterentwicklung der Standards und Siegel besteht. Die Ergebnisse wurden mit Vertretern von Standardorganisationen, Unternehmen und Umweltexperten diskutiert und wurden in einem Baseline Report zusammengefasst (Deutsch und Englisch).

Im nächsten Schritt erarbeiteten Bodensee-Stiftung und Global Nature Fund Handlungsempfehlungen für die „Politik“ der Standardorganisationen und für konkrete Kriterien zum Schutz der biologischen Vielfalt. Eine Arbeitsgruppe bestehend aus Vertretern der Standardorganisationen, der REWE Group und weiteren Unternehmen aus der Lebensmittelbranche, Zertifizierern und Umweltorganisationen unterstützte die Erarbeitung der Empfehlungen. Außerdem werden die Empfehlungen in einem breit angelegten Stakeholderforum vorgestellt mit dem Ziel, alle Interessenvertreter einzubinden und eine breite Zustimmung zu erreichen.

Seit Juli 2014 werden die Handlungsempfehlungen und Kriterien außerdem individuell mit den Siegel- und Standardorganisationen sowie Unternehmen mit eigenen Labels und Standards diskutiert und konkrete Schritte zur Umsetzung der Empfehlungen vereinbart. Die Projektpartner unterbreiten außerdem Vorschläge für Aktivitäten, die von den Standardorganisationen und Unternehmen gemeinsam angegangen werden sollten, um Synergien zu nutzen. Dazu gehören u.a. die gemeinsame Weiterentwicklung der Biodiversitätskriterien, wissenschaftliche Studien über die Wirkungen der Lebensmittel-Branche auf die biologische Vielfalt, gemeinsame bzw. abgestimmte Monitoringsysteme etc.

Aufeinander abgestimmte Standards und Labels hätten den Vorteil, dass die knappen Ressourcen effizienter eingesetzt und komplexe Aspekte wie das Monitoring der Wirkungen von Biodiversitätskriterien umfassender abgedeckt werden könnten. Außerdem würden zertifizierte Organisationen bzw. deren Zielgruppen wie z.B. Kleinbauern sehr davon profitieren.

Über die Branchenverbände und die Präsenz auf Messen und Veranstaltungen werden die Handlungsempfehlungen und Kriterien in der Branche bekannt gemacht. Die Projektpartner stehen den Siegel- und Standard-Organisationen sowie Unternehmen, die Biodiversitätskriterien entwickeln, berücksichtigen oder konkretisieren wollen, mit Rat und Tat zur Seite.

Bei Projektende im März 2015 sollen alle relevanten Siegel und Standards der Lebensmittelbranche aussagekräftige Kriterien zum Schutz der biologischen Vielfalt enthalten bzw. eine Zusicherung vorliegen, dass diese bei der nächsten Überarbeitung der Kriterien berücksichtigt werden.

Mittelfristiges Ziel ist es, dass sich die Lebensmittelbranche im Rahmen einer Brancheninitiative auf Mindestkriterien zum Schutz der Biodiversität einigt.

Handlungsempfehlungen zur schrittweisen Integration in den Unternehmensalltag

Mit dem umfangreichen Katalog von Empfehlungen zeigen die Autoren die gesamte Bandbreite an Handlungsmöglichkeiten zum Schutz der biologischen Vielfalt auf. Mittelfristiges Ziel sollte es sein, dass Standardorganisationen und Unternehmen den gesamten Katalog in ihre Vorgaben integrieren. Wir gehen realistischerweise davon aus, dass die Organisationen / Unternehmen schrittweise vorgehen werden. Standardorganisationen und Unternehmen haben unterschiedliche Vorgehensweisen und können z.B.

  • Prioritäre Empfehlungen als Muss-Kriterien integrieren.
  • Empfehlungen zunächst für einen bestimmten Zeitraum als Kann-Kriterien ausweisen.
  • Eine Auswahl an Empfehlungen zusammenstellen und eine Mindestanzahl definieren, die umgesetzt werden muss.
  • Sonderpunkte für die Umsetzung von Empfehlungen vergeben.

Wichtig ist, dass Standardorganisationen und Unternehmen erste – aber wirkungsvolle – Schritte tun und kontinuierlich ihre Biodiversitäts-Performance verbessern. Dazu gehört auch die Umsetzung der Empfehlungen für die Standardpolitik, die auch für Unternehmen mit eigenen Vorgaben relevant sind.

Bei der Formulierung der Empfehlungen wurde darauf geachtet, einerseits eine gute bis optimale positive Wirkung für den Schutz der Biodiversität oder die Schaffung von Potentialen zu erzielen. Andererseits war die Praktikabilität aus Sicht der Standardorganisation ein wichtiger Aspekt.

Empfehlungen für Standardpolitik und –strategie:

  • Definitionen von Begriffen für den Bereich Biodiversität
  • Fokus Biodiversität – Standards sollten alle wesentlichen Aspekte der Biodiversität abdecken
  • No-Net-Loss Approach berücksichtigen
  • Reichweite und Einfluss des Standards
  • Einfluss der Standardorganisationen auf gesetzliche Regelungen und Vorgaben bezüglich der Produktqualität
  • Verzicht auf GVO
  • Teilzertifizierungen
  • Biodiversitäts-Monitoring
  • Weiterbildung zum Thema Biodiversität für Zertifizierer und zertifizierte Betriebe
  • Sicherung & Entwicklung der methodischen Qualität

Empfehlungen für Biodiversitätsmanagement:

  • Schutz von primären und naturnahen Ökosystemen
  • Biodiversitäts-Risikoanalyse für landwirtschaft-liche Flächen
  • Biodiversity Action Plan auf Betriebsebene
  • Verhindern der Einschleppung und Verbreitung gebietsfremder invasiver Arten (Neobiota)
  • Förderung der Arten-, Sorten- und Strukturvielfalt

Empfehlungen für eine SEHR GUTE fachliche Praxis für mehr Biodiversität

  • Bodenfruchtbarkeit erhalten und verbessern
  • Düngemanagement verbessern
  • Tierhaltung
  • Pflanzenschutz
  • Wassereinsatz optimieren
  • Biodiversitätsfreundliche Bewirtschaftung
  • Agrobiodiversität
  • Wildsammlung

Empfehlungen für Lebensmittel-Hersteller und –handel

Darüber hinaus rufen wir Hersteller und Handel von Lebensmitteln dazu auf,

  • ihren Einfluss auf den Gesetzgeber geltend machen, die bestehenden Qualitätsvorgaben grundsätzlich so zu überarbeiten, dass diese keine negativen Auswirkungen mehr auf die Biodiversität sowie den Anbau und Vermarktung einer großen Sortenvielfalt haben.
  • Produkte aus alten / traditionellen Nutzpflanzen und Nutztieren sowie alte, regionaltypische und seltene Obst- und Gemüsesorten anbieten.
  • das Engagement für Agro-Biodiversität der Lieferanten honorieren.
  • Konsumenten über die Bedeutung und den Wert der Agro-Biodiversität sowie der genetischen Vielfalt informieren und den Begriff „Vielfalt“ in einem neuen ganzheitlichen Zusammenhang unter besonderer Berücksichtigung der Biodiversität kommunizieren und bewerben.
  • bei alternativen Anbauregionen / Lieferanten, Produkte aus der Region / Betrieb(en) bevorzugen, die eine bessere Biodiversitäts-Performance hat und wo entsprechende Kriterien eingehalten werden.
  • einen angemessenen Anteil an den Kosten für verbesserten Umwelt- und Biodiversitätsschutz sowie Sozialverantwortlichkeit übernehmen.
  • sich nicht an Preisdumping zu Lasten von Umwelt- und Sozialstandards beteiligen.

Umsetzung in der Praxis

Uns ist bewusst, dass die Umsetzung der Handlungsempfehlungen in der Praxis ein komplexes und dynamisches Unterfangen ist, das seine Tücken im Detail hat. Seit rund 40 Jahren befasse ich mich in Wissenschaft, Kommunikation, Management und Praxis intensiv mit Biodiversität. Ich habe mir hierzu national und international ein umfassendes Wissen angeeignet. Gerne berate ich Sie und Ihr Unternehmen in den für Sie relevanten Biodiversitätsfragen. Mehr erfahren Sie unter oecoach > meine Themen > Biodiversität und Diversity-Management.

Weiterführende Links

Aufmacher-Foto: Bodensee-Stiftung